Ein Leben für die Arbeit
Das Verhältnis von Arbeit und Mensch hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Herrschte in der Nachkriegszeit noch quasi Voll- und vor allem Dauerbeschäftigung, so haben wir heute eine andere Situation. Die Arbeitslosenquote in Deutschland sinkt zwar seit Jahren (sie lag im Juni 2017 bei 3,8 %; der Höchststand nach der Wiedervereinigung waren 11,2 % im Juni 2005), doch die vorhandenen Arbeitsverhältnisse sind oft befristet, nicht selten prekär. Der Lohn ist keine zuverlässige Einkommensquelle mehr. Oft muss er durch staatliche Leistungen aufgestockt werden. Was umso frustrierender ist, wenn wir bedenken, wie viel wir arbeiten. Wir verbringen einen Großteil unseres Lebens damit, einer Lohnarbeit nachzugehen: 40 Stunden die Woche, 175 Stunden im Monat, 2100 Stunden im Jahr, abzüglich Urlaub, versteht sich.
Ich bin mein Job – oder?
Dazu kommt, dass ich mir die Frage stelle: Wie weit wollen wir uns durch unsere Arbeit definieren lassen? Es ist eine der ersten Fragen nach dem Kennenlernen: „Und, was machst du so?“ Nicht: „Wie war deine Kindheit? Welche Musik magst du? Was fasziniert dich am Leben?“ Wir haben Schubladen für alles – und jeden Job. Es ist schwer, daran vorbeizusehen. Geschlecht, Alter, Hautfarbe, Job – das sind die ersten Dinge, die wir einer Person zuordnen und die ihr Wesen für uns fortan bestimmen. Unsere Arbeit stiftet also Identität.
Doch was, wenn sie befristet ist, oder kaum Identifikationspotential bietet? Ich kann stolze selbständige Journalistin sein, Personalchefin oder Orgelrestauratorin. Aber stolze Reinigungsfachkraft oder Hilfsarbeiterin? Eher nicht. Früher waren Menschen ihr Leben lang Bäcker, Bauern, Müller oder Meier, was sich bis heute in den so entstandenen Familiennamen wiederspiegelt. Heute wechseln viele von uns im Lauf ihres Lebens gleich mehrfach den Job. Wer sind wir dann? Identitätsnomaden? Und trotzdem definieren wir uns und andere über ihre Jobs. Dabei macht mich doch viel mehr aus als meine aktuelle Jobbeschreibung.
Die Freiheit nehm ich mir
Was wäre also, wenn ich den Spieß umdrehe, und mich nicht mehr von meinem lohngebenden Job abhängig mache, sondern finanzielle und selbstsinnstiftende Freiheit genieße? Um unabhängig von Lohnarbeit zu sein, brauche ich – zumindest in unserer Gesellschaft – eine andere Einkommensquelle. Deshalb trete ich für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein. Ich erhoffe mir davon, dass alle Menschen wieder mehr Raum zum Atmen haben, raus aus ihrer Tretmühle kommen und beginnen, sich damit zu beschäftigen, was ihnen wichtig ist im Leben.
Viele befürchten, dass dann mit einem Schlag alle aufhören zu arbeiten. Und sich einen Lauen machen. Glaube ich aber nicht. Klar, Urlaub ist toll, Blaumachen auch. Aber auf Dauer gar nichts tun? Dürfte den meisten von uns nicht schmecken. Wir wollen doch etwas erleben! Etwas tun, uns beschäftigen. Hier steht uns auch der Arbeitsbegriff selbst im Weg. Was ist denn Arbeit? Was muss ein Mensch tun, damit es heißt: der arbeitet (und darf essen)? Menschen mit Grundeinkommen entscheiden sich vielleicht dazu, gemeinsam mit Nachbarn einen Schülernachhilfekreis aufzubauen. Oder sie beginnen zu malen oder ein Instrument zu lernen. Vielleicht verbringen sie viel Zeit mit ihrer Familie, helfen anderen Menschen ihren Alltag zu bewältigen oder schreiben Bücher. Aber für keine einzige dieser Tätigkeiten bekommen sie Geld. Ist das dann keine Arbeit? Vielleicht nicht. Vielleicht arbeitet dann wirklich nicht mehr jeder. Aber sinnvoll beschäftigt wären wir alle.
Und niemand müsste mehr einen Job annehmen, der unterbezahlt und ausbeuterisch ist. Oder sich nicht mit den eigenen Werten deckt. Weil wir keine Existenzängste mehr mit uns herumschleppen. Wir harren nicht in einer unwirtlichen Firma aus, in der uns unser Boss schikaniert. Wir gehen erhobenen Hauptes. Plötzlich müssen sich die Arbeitgeber bei potentiellen Mitarbeitern bewerben. Könnte das alles nicht am Ende, fragt die Zeit, „zu einer Umstrukturierung der Arbeitswelt beitragen?“ [Quelle: Die ZEIT]
Die Idee klingt einfach: Das bedingungslose Grundeinkommen versorgt jeden Bürger mit einem monatlich ausgezahlten Betrag, der die Grundbedürfnisse decken soll. Darin sind sich alle einig. Doch dann geht es schon los mit den offenen Fragen: Was bedeutet denn bedingungslos? Bekommt es jeder, unabhängig vom finanziellen und sozialen Status, also auch ein mehr als genug verdienender Topmanager? Und wie viel wird gezahlt? Das Existenzminimum liegt derzeit bei 735 Euro/ Monat. Mindestens also das, eher mehr. Aber woran machen wir das fest? Ersetzt das Grundeinkommen Sozialleistungen und wenn ja, welche? Und schließlich: Wie, beim Barte des Propheten, finanziert man das bitte?
Es gibt derzeit mehrere Modelle. Sie unterscheiden sich nicht nur methodisch, sondern auch ideologisch. Da sind die Neoliberalen, die hier die Chance sehen, Lohnnebenkosten abzubauen und Sozialleistungen zu streichen. Die Humanisten wollen die Bürger emanzipieren und ihnen die Freiheit zur Selbstverwirklichung schenken. Links davon finden sich noch Positionen, die das Grundeinkommen als einen Mosaikstein in einem viel größeren Umbau sehen, der mit Arbeitsrecht- und Steuerreformen einhergeht. Mehr zu diesen Positionen und ihren Argumenten findest du über die Weiterlesen-Links.
Weitergedacht: Ein nachhaltiges Grundeinkommen
Wir können und müssen langfristig unsere Ökonomie komplett umgestalten und an etwas anderem ausrichten als Gewinn und Wachtum. Denn die kapitalistischen Grundwerte, ob harter Kapitalismus oder soziale Marktwirtschaft, passen nicht zu unseren realen Lebensbedingungen. Die Schere zwischen Arm und Reich hier bei uns und die Ungleichheit zwischen Entwicklungsländern und der westlichen Welt sorgt für ein immer weiter steigendes Konfliktpotential.
Dazu kommen Umweltprobleme: knapper werdende essentielle Ressourcen wie Trinkwasser, Nahrung und Brennmaterial, Artensterben, vermüllte Ozeane, ausgelaugte Ackerböden, vom Menschen beschleunigter Klimawandel. Wir können nicht ewig so weitermachen, doch dass es so weit kommen konnte, ist nicht verwunderlich – „eilt doch die Fähigkeit des Menschen zur Zerstörung seiner Einsicht voraus, was er da anstellt.“[Quelle: Die ZEIT]
Wir brauchen dringend eine nachhaltige Lösung. Nachhaltigkeit ist, laut Duden, ein Prinzip aus der Ökologie, nach dem nicht mehr verbraucht werden darf, als jeweils nachwachsen, sich regenerieren, künftig wieder bereitgestellt werden kann. Wenn wir als Menschheit die nächsten 500 Jahre überleben wollen, ohne ins All zu flüchten, sollten wir dieses Prinzip in den Fokus all unserer Bestrebungen rücken.
Wirtschaftlich könnte sich das darin ausdrücken, jedem Individuum einen Vorrat an Nachhaltigkeitspunkten zu geben, für einen bestimmten Zeitraum, etwa 1 Jahr. Die Punkte können getauscht werden gegen Ressourcen, wie Nahrung oder Werkzeuge, und Dienstleistungen, etwa eine Taxifahrt. Die Kosten werden anhand eines Nachhaltigkeitsfaktors der Ressource oder Dienstleistung ermittelt. Die Idee dahinter ist aber zu komplex, um sie hier weiter auszuführen. Ich beleuchte sie bald in einem eigenen Artikel.
Weiterlesen
- Wikipedia: Bedingungsloses Grundeinkommen
- Die Zeit: Bedingungsloses Grundeinkommen: Drei Modelle, ein Traum
- Die Zeit: Und wie geht’s der Erde?
- zehnplusfünf. Übersicht: Positionen für das Bedingungslose Grundeinkommen
- zehnplusfünf. Kurze Geschichte des Grundeinkommens, Teil 1 und Teil 2
- Positionen der deutschen Parteien zum Grundeinkommen (gesammelt von der Initiative Mein Grundeinkommen)