Gartenliebe · Weltrettung

Urban Gardening, Teil 1:
So viel Grün kann Stadt

Tokio-Yokohama ist mit ihren 38 Mio. Einwohnern die größte Metropolregion der Erde (Stand 2015).
Bild von Jason Goh, Pixabay

Die Weltbevölkerung besteht zu 55 % aus Stadtbewohnern, das sind rund 4,2 Milliarden. Die Vereinten Nationen schätzen, dass ihr Anteil 2050 ganze 68 % Prozent ausmachen wird.

Ich habe Schwierigkeiten, mir diese Masse, diese Dichte vorzustellen. Dabei leben in Deutschland schon jetzt rund drei Viertel aller Menschen in Städten und stadtnahen Räumen. Und auch hier ist die Tendenz steigend. [Quellen: United Nations, Stand: Mai 2018, Deutschlandfunk]

Immer mehr von uns wachsen also in einer Stadt auf oder ziehen irgendwann dorthin. Natur heißt für uns Stadtkinder: der Straßenbaum mit dem Pilzschaden da draußen vorm Fenster. Viele von uns haben vergessen, wie Waldboden riecht oder eine Wildwiese klingt.

Doch wir schützen nur, was wir kennen und lieben. Die Natur auch in der Stadt greifbar zu machen, ist deshalb ein wichtiger Schritt auf unserem Weg zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Mit meiner Serie zu Urban Gardening will ich dir zeigen, wie wir mehr Garten in die Stadt bringen.

Ein Garten ist ein Garten ist ein Garten

Aber was ist denn ein eigentlich ein Garten? Diese Frage habe ich zwanzig Freunden aus 11 Nationen gestellt. Ihre Antwort war bunt: Ein Garten ist ein Ort, wo wir mit Oma Kaffee trinken und Erdbeerkuchen essen, die Hunde im Gras zwischen Blumen und Gemüsebeeten spielen und wir uns am Pool die Sonne auf den Bauch scheinen lassen.

"Garten" bedeutet für jeden etwas anderes.
Garten bedeutet für jeden etwas anderes.
Bild: Erstellt auf Word Art, eigene Umfrage.

Und für mich? Für mich ist ein Garten ein Stück wilde Freiheit. Der Schrebergarten meiner Eltern war alles andere als gerade und ordentlich-deutsch. Es war ein Raum mit mäandernden Wegen, Wildwiesen, Zuckererbsen, verstreuten Schuppen, Hochbeeten und Ameisenhaufen.

Mittendrin ein aus alten Fenstern entstandenes Gewächshaus, daneben mit Brunnenwasser gefüllte Badewannen und eine selbstgebaute Laube, die laut Kleingartenvereinsordnung 20 Zentimeter zu hoch und dadurch permanent vom Abriss bedroht war. Unser Garten ist eine meiner Lieblingskindheitserinnerungen.

Holen wir diese wilde grüne Freiheit zu uns in die Betonschluchten, pflanzen wir sie vor Glastürme und laden wir sie ein in unsere Wohnzimmer. Wie sagt Guerilla-Gärtner Ron Finley aus Los Angeles:

„So I want us all to become ecolutionary renegades, gangstas, gangsta gardeners.“

(„Ich möchte, dass wir alle ökologische Rebellen, Gangster, Gangster-Gärtner werden.“ In: A Guerilla Gardener in South Central LA. Übersetzung von Angelika Lueckert Leon, für TED)

Die Saat des Schönen

Lebensspendende Flugobjekte.
Bild von congerdesign, Pixabay

Bei Urban Gardening denkst du vielleicht erstmal an Guerilla Gardening und Samenbomben. Diese mit Saatgut gefüllten Erd-und-Ton-Bällchen schlagen nach kurzem Auftritt als Wurfgeschoss in ihrem Landebereich Wurzeln.

Sie werden im Stadtraum meistens dafür genutzt, Blümchen auszusäen. Die wilden Blumenwiesen können überall entstehen, wo Erde ist: auf Grünstreifen und in Parks genauso wie auf Brachen und Baumscheiben, also dort, wo Bäume auf ihren Inseln aus dem Pflastermeer ragen.

Was sagen denn die Stadtverwaltungen dazu? Deutschlandfunk Nova hat im Juni 2018 ein paar Stimmen eingefangen zum Thema. Nicht alle Kommunen sind von der Idee angetan, aber richtig verboten ist es auch nicht.

In Dresden ist „das Gestalten mittels von Samenbombe nicht erwünscht“, aber man habe immerhin über 20 Urban-Gardening-Flächen in der Stadt und stelle auch Parkanlagen durchaus mal für das eine oder andere Projekt zur Verfügung.

In Köln gilt, „wenn das jemand macht, in einer Ecke, und irgendwo findet man so etwas, und es stört keinen, […] dann würden wir das dulden, auch wenn das jetzt Gemüse wäre.“ Und Hamburg sagt: „Die Tatsache, dass es seit längerem schon Saatbomben […] für den öffentlichen Raum zu kaufen gibt, macht unseres Erachtens sehr deutlich, dass Guerilla Gardening straffrei in den Supermarktregalen angekommen ist.“

Was ist Urban Gardening denn nun?

Das trotzige Guerillagärtnern ist nur eine Facette von Urban Gardening. Bereiten wir also die Erde mit einer Begriffsklärung. Das kluge, kollaborative Lexikon Wikipedia weiß:

Urbaner Gartenbau, auch Urban Gardening, ist die meist kleinräumige, gärtnerische Nutzung städtischer Flächen […]. Die nachhaltige Bewirtschaftung der gärtnerischen Kulturen, die umweltschonende Produktion und ein bewusster Konsum der landwirtschaftlichen Erzeugnisse stehen im Vordergrund. […]

Darunter fallen im engeren Sinne zum Beispiel Schrebergartenkolonien und Stadtteilgärten, im weitesten aber auch der mit Gemüse begrünte Balkon oder Stadtimkereien.

Stadtgartengeschichte

Neu ist die Sache mit der kleinräumigen, gärtnerischen Nutzung städtischer Flächen nicht. Als sich die Siedlungsräume der Menschen verdichteten, nahmen sie ihre Gärten mit in die Stadt und versorgten sich dort selbst. Doch bald ließ das die zunehmende Bevölkerungsdichte kaum noch zu, denn ein Garten benötigt Platz.

Ohne die Möglichkeit zur Selbstversorgung verschlechterte sich vor allem die Lage armer Stadtbewohner. Um das Schlimmste abzuwenden, wurden ab dem 19. Jahrhundert in vielen deutschen Städten Armengärten angelegt. Beispiele hierfür sind die noch heute existierenden Rotkreuzgärten in Berlin-Lichterfelde, inzwischen Kleingartenanlagen, sowie Eisenbahnergärten im gesamten Bundesgebiet.

Die Kleingartenbewegung, die vor allem körperliche Ertüchtigung und Entspannung zum Ziel hatte, entstand ebenfalls im 19. Jahrhundert und breitete sich bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland und vielen anderen Ländern aus. Das erste wichtige Kleingärtnergesetz, die Kleingarten- und Kleinpachtlandordnung, wurde 1919 erlassen. Und 1921 gründete sich dann der Reichsverband der Kleingartenvereine Deutschlands, der Vorläufer des Bundesverbands Deutscher Gartenfreunde.

In kleinen Gärten zum Sieg

Victory-Garden-Poster, 1945, USA
Bild von Hubert Morley, für das Agriculture Department. War Food Administration.

In den Weltkriegen wurden Kleingärten zu Victory Gardens erhoben und viele öffentliche Flächen für den Landbau freigegeben. Kanada, die USA und Großbritannien, aber auch Deutschland riefen die Bürger dazu auf, für ihr Vaterland zu gärtnern. Ihre patriotische Mission sollte Versorgungsengpässe verhindern und die Bauern entlasten. Zugleich gab es ihnen das Gefühl, ihrer Situation nicht hilflos ausgeliefert zu sein.

Nach dem zweiten Weltkrieg wiesen viele Stadtverwaltungen weitere Kleingartenareale aus, um Hunger und Armut entgegenzuwirken, wodurch sich der Kreis zu den Armengärten schließt.

Heute gibt es allein in Deutschland über 900.000 Kleingärtnerinnen und Kleingärtner, die 40.000 Hektar begießen und beharken. Die meisten Parzellen liegen in Berlin, gefolgt von Leipzig und Hamburg. [Quelle: Bundesverband Deutscher Gartenfreunde, Stand 2018]

Die Neuen Gärten und die Essbare Stadt

Die alten Laubenkolonien haben einen großen Nachteil: Die Wartelisten in den meisten Metropolen sind lang. Dadurch kann es Jahre dauern, bis eine Parzelle frei wird. Währenddessen bekommen immer mehr Städter Appetit auf selbstgezogene Lebensmittel, vor allem jüngere Menschen und Familien.

Wein und Permakultur in Anderna(s)ch.
Bild von Gesa Maschkowski

Die Lösung heißt: Gemeinschaftsgärten. Zu diesem Zweck haben sich landauf, landab seit den 1990ern zahlreiche Initiativen gebildet und bis heute über 600 Gärten angelegt.

Oft widmen sich diese Projekte nicht nur dem Gärtnern, sondern etwa dem interkulturellen Austausch, der Schaffung alternativer Freiräume oder Umweltbildung und Wissenstransfer. [Quelle: anstiftung]

Und es gibt auch Stadtverwaltungen, die selbst Urban Gardening betreiben. Andernach etwa hat seine Grünflächenplanung schon 2007 im Sinne der Nachhaltigkeit umgestaltet.

Nun gedeihen entlang der Stadtmauer Gemüse und Hopfen, der Burggraben beherbergt Wein. Am Stadtrand ist eine nach den Prinzipien der Permakultur gestaltete Anlage entstanden, in der auch Tiere gehalten werden. Die Gärten stehen – mitsamt ihrer Ernte – allen Bürgern und Besuchern offen. So wird aus Andernach ein Andernasch.

Zugleich sind in den vergangenen Jahren in vielen deutschen Städten – allen voran Berlin und Köln – Ernährungsräte entstanden. In diesen ehrenamtlich arbeitenden Gremien haben sich Menschen zusammengetan, die lokale, nachhaltige Ernährung in ihrer Stadt fördern wollen. Es sind Landwirtinnen, Vertreter aus Gastronomie und Politik sowie interessierte Bürgerinnen und Bürger, die die Stadtverwaltungen beraten und Projekte anstoßen.

Zusammengefasst: die Vorteile des Gärtnerns im Urbanen

Urban Gardening Manifest.
Das Poster der gleichnamigen Initiative (Klick aufs Bild öffnet vergrößerte Ansicht).
  • Gartenarbeit erneuert und stärkt unsere Verbindung mit der Natur.
  • Gerade für Kinder eröffnet sich ein eindrucksvoller Erfahrungsraum.
  • Neue Gemeinschaften entstehen: ob du dich als Zimmergärtner mit anderen austauschst, deine Nachbarn beim spontanen Grünstreifengartenfest triffst oder dir mit anderen einen großen Garten teilst.
  • Wir gewinnen ein überbordendes Füllhorn von Lebensmitteln:
      1. aus selbst kontrolliertem biologischen Anbau,
      2. garantiert saisonal, immer lokal und
      3. günstiger, weil wir sie selbst anbauen.
  • Insekten, Kleinnager, Reptilien und Vögel erhalten neuen Lebensraum.
  • Grüne Städte sind schöne Städte und haben eine höhere Lebensqualität.
Weitere Teile dieser Serie:

 

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Dieser Artikel ist auch auf Medium erschienen (Englisch).

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